Maritimer Adventskalender 2024

Seemann wie er nur noch – im Buche – steht

„Raspelkurz“ schnitt ihm einmal eine spanische Friseurin die Haare. „Dann kam Gel rein, und ich sah aus wie Rod Stewart“, erinnert sich Armin Rott an Ferien auf seiner Lieblingsinsel „Malle“. Rod Stewart wurde berühmt mit seiner Ballade „Sailing“, dabei ist er nie zur See gefahren. Ganz anders Armin. Er ist seit seinem 19. Lebensjahr „Seemann mit Leib und Seele“ und teilt sich seinen Nachnamen zufällig mit dem Vornamen des Briten. Und man merkt Armin an: Seemann ist man sin Leben lang. Auch wenn der 73-Jährige seit 1997 im Krayenkamp wohnt.

 

Heute sind die Haare wieder schulterlang, lässig, so wie es einem flotten Ü-70er gut steht. Fix ist er, den alle im Seemannsheim nur mit Base-Cap kennen. Die nahm er auch nicht ab. Als er vor einigen Jahren weit im Süden bekannt wurde als „Seemann aus dem Norden“. Dabei entspricht Armins gar nicht dem klassischen Bild von einem Seebären: Armin ist eher klein, drahtig, aus seinen Augen strahlen Sehnsucht und Lebenslust. „Manche erinnere ich an Otto“, sagt Armin selbst und macht Faxen. Wie damals, als er den Reporter Jonas Hirt der Badischen Zeitung, der ihn für seinen Artikel „Wie leben ehemalige Seeleute in Hamburg an Land?“ (kostenpflichtig) interviewte, verblüffte. Denn plötzlich sprang Armin auf und legte 40 Liegestütze hin wie nix. Der Reporter war sprachlos. Armin nicht – und auch nicht atemlos.

Wahrheit

Die Liegestütze bleiben Armin heute erspart, als wir ihn bitten, die eine oder andere Geschichte aus seiner Seekiste der Erinnerungen zu zaubern. Gerne dürfe er auch Seemannsgarn spinnen. Das war ein Wort zu viel, fast. Denn mit Seemannsgarn hat Armin so rein gar nichts zu tun. Seemannsgarn, das verletzt Stolz und Seele des Seemanns Armin. „Was ich erzähle ist Wahrheit. Ich habe alles selbst erlebt.“ Das bekam auch ein „Seemann“ zu spüren, der ihn in der Hamburger Kneipe Elbschlosskeller beim Bier traf. Der Mann hatte Pech. Als er großspurig von seinen Reisen erzählte und wie er in San Francisco herumgekommen sei, da hört sich Armin die „Story“ erst gelassen an – und schlägt dann erbarmungslos zurück: „Du warst nie in San Francisco, denn die Kneipe, von der Du erzählst, kann man nur mit dem Cable Car (Anm. d. Red.: so werden die Fahrzeuge der aus Film und Fernsehen bekannten Kabelstraßenbahn in San Franciso genannt) erreichen“. Das war´s. Wie der „Seemann“ reagiert hat, ist nicht bekannt.

Die Sehnsucht nach Meer

Überliefert und wohl überlegt sind dagegen die Geschichten zur See von Armin: Alles fing damit an, dass sich der 14-Jährige eines Tages in den Kopf gesetzt hatte: „Ich wollte Schiffsjunge werden, schon in der Volksschule“. Der Vater war Schuster, erbost und der Überzeugung, dass der Sohn bei seinen Leisten bleiben und ebenfalls Schuster werden sollte. Matrose sei, so Armins Vater, ein „Zigeunerberuf“. Die Jahre gingen ins Land. Die Sehnsucht blieb. Armin, 19 Jahre, sah bei einem Dia-Abend Bilder von Afrika. Der Geburtsort Bad Bramstedt war zwar jenseits von Afrika, aber nah genug, um in Bremen abzulegen. „Mich haben schon damals die Seemannslieder begeistert, besonders die von Freddy Quinn“, sagt Armin. Dass Freddy gar kein Hamburger Jung ist, hat Armin nie interessiert. Als Freddys „Junge komm bald wieder“ sogar Einlass fand in der sonst so ernsthaften Hamburger Laiesz-Konzert Halle –, war Armin dabei – und auch beim letzten Konzert auf dem Hafengeburtstag. „Da saß ich ganz vorne“. Das ist fast 30 Jahre Seemanns-Leben her.

Geschichte

Im Februar 1970 heuert Armin an, bezieht ein Zimmer im Seemannsheim an der Großen Elbstraße in Altona  – und seither ist Armins Geschichte eine der deutschen Seefahrt. Denn: Armins erstes Schiff, die „Lechstein“ fuhr damals für die Bremer Reederei „Norddeutsche Lloyd“ (NDL) sechsmal pro Jahr nach Mittelamerika und zurück. Armin sah die Westküste von Zentralamerika, den Golf von Mexiko, die Ostküste der USA. Nach kurzer Zeit wechselt Armin auf die Blumenthal, die damals für die Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG) nach Amerika fuhr. „Da haben wir Long Beach gesehen, einen Tag sind wir ins Disney Land und in Hollywood stand ich auf dem Stern von Marilyn Monroe.“ Armin seinen eigenen American Dream. „Das waren damals noch ganz andere Zeiten. Man kam rum.“

„Irgendwann waren wir auch in San Francisco und sind mit den Cable Cars gefahren. Zusammen mit zwei anderen Matrosen waren wir in Chinatown. Beim Aussteigen bin ich mit dem Fuß umgeknickt – aber gleich wieder aufgestanden“. So ist Armin. Er macht weiter. Nur bei einer Sache versteht er keinen Spaß. „Ich hatte mal Theater mit einem Bootsmann, ein Egoist. Wir hatten zehn Kisten Bier als Proviant. Er nahm sich acht, der Koch bekam eine und wir auch nur eine Kiste“. Das ging Armin gegen den Strich der Gerechtigkeit.

HAPAG – Amerika

Nach einem Jahr bei NDL war der Matrose Armin wieder Zeitzeuge der Deutschen Reederei-Geschichte. 1970 fusionierte der Norddeutsche Lloyd mit der HAPAG zur Hapag-Lloyd AG. Armin wechselt auf die „Blumenthal“, die jetzt für die frisch fusionierten Hapag-Lloyd die Hamburg-Amerika-Linie befuhr. „Acht Monate auf See, drei Monate Urlaub, ein schönes Schiff, ein schönes Fahrtgebiet, eine gute Besatzung, lange Liegezeiten“ träumt sich Armin zurück auf den Stückgutfrachter mit 36 Mann Besatzung. „Es war eine richtig schöne Zeit.“ Ein Ort der Seensucht: Tahiti… In der Südsee schippert er mit dem HAPAG-Frachter „vom Kaugummi bis zum LKW“ vieles über die Meere. Und Armin scheut sich nicht zu sagen, was zu seinem Seemannsleben gehörte wie das Anker-Tattoo auf seinem rechten Arm: „Die Weiber“. Irgendwie ist Armin doch der Inbegriff eines Seemanns, der er damals, als die Liegezeiten noch lang und Armins Haare raspelkurz waren. „Damals hatte man noch Kondition. Aber man kann ja nicht immer zu den Deerns gehen“.  Wer auf der Suche nach Seefahrer-Romantik – und Klischees ist – Armin fragen.

Rickmers – Asien

Armin ist Seemann und auch Sehmann: „Ich wollte mal Asien angucken“, sagt er und mustert an bei der Reederei Rickmers. Armin sah Nordkoreas Pjöngjang, aber auch Singapur, Malaysia, China. „Eine ganze Woche an Land und der 1. Offizier fragt, wer hat Lust auf Peking“. Armins sagt ja und steigt schnell in den Toyota ein, um nach vier Stunden über Land auf dem Tian’anmen-Platz das gigantische Mao-Bildnis über dem Tor des Himmlischen Friedens zu bestaunen. An Karachi erinnert er sich auch, weniger touristisch. Da gab’s Armins Lieblingsgetränk nur aus „einer 1-Liter-Buddel“. Sein Gedächtnis ist wie eine Lupe im Leben: „Die Marke hieß Londonderry, schmeckte wie Elefantenpisse, aber wenn man nichts anderes hat, kann man das auch trinken.“ Damals war die Zeit noch anders. Wenn Zeit auf dem Schiff war, schnappte sich Armin einen Liegestuhl marschierte forsch auf das Oberdeck: „Zwei Bier dabei, Radio an und ich habe mich gebräunt“. Armin nutzt die Zeit an Bord zur Muße – und zum Welt-Erleben.

Schröder – Afrika

In den 80ern fährt er für die Reederei Richard Schröder. Auf der „Florence“ ging´s nach Guinea, Conakry, Nigeria … „Die 70er und 80er Jahre waren die beste Zeit für deutsche Seeleute. Dann wurde alles anders“.  Seine „Große Fahrt“ ist wie ein Bordbuch zum Wandel der deutschen Seefahrt: Er fährt zuerst auf Stückgut, viele seiner Seemanns-Kollegen kommen aus Deutschland, dann ist er Matrose auf einem Schiff, das Stückgut- und Container geladen hatte, zuletzt sind es nur noch Container, die er bugsierte. Dann verzwergte die große zur kleinen Fahrt. Er geht zur Reederei Beutelrock. „Die liegt an der Trave, neben dem Puff“.  Aber die kleine Fahrt ist nichts für Armin. „Ich muss auf größere Pötte“, sagt er und meint die Frachter der SAL-Reederei von Klaus Heinrich aus dem Alten Land. Doch plötzlich wird der Immer-gute-Laune Armin nachdenklich. „Mit SAL war ich auch im Irak, im Iran und in Odessa…“. Aber nach 28 Jahren ist irgendwann Schluss auf See. Selbst für Armin. Er geht an Land, arbeitet bei einem Schiffsreiniger und hilft fünf Jahre, die Cap San Diego an den Hamburger Landungsbrücken instand zu setzen.

Das Seemansheim Hamburg als neue Heimat

Seit 1997 wohnt er nun in Krayenkamp. Hier ist seine Heimat, hier ist er Zuhause. Die Knappschaft See zahlt Rente, davon kann er Kost und Logis bezahlen. „Die Rente ist nicht hoch, aber ich meckere nicht“, sagt Armin. Es reicht für ihn. Obwohl zwei Seelen in seiner Brust schlagen: Er ist nicht nur See- sondern auch Lebemann: „Ich bin vor Corona jedes Jahr nach Mallorca gefahren. Immer ins gleiche Hotel. Da fühle ich mich wohl. Ich bin ganz heiß drauf, im Mittelmeer zu schwimmen“. Die Badehose packt er auch in Hamburg ein. „Ich bin fit, gehe dreimal die Woche schwimmen und bin im Altonaer Turnverein“.

Auch am Ballermann ist Armin bekannt „wie ein bunter Hund“. Aber nicht nur auf Mallorca: Auch in seiner zweiten Heimat: Im Elbschlosskeller. Die Hamburger Kneipe auf St. Pauli ist jeden Tag 24 Stunden auf und wer passt „besser in die härteste Kneipe Hamburgs“ als Armin. „Aber leider gibt’s hier kaum noch echte Seeleute, die was zu erzählen haben“, wenn Armin nicht da ist.