Maritimer Adventskalender 2024

Kein einfaches Terrain für junge Frauen

Amanda Heinemeyer (20), Anna Schneider (19) und Malena Renke (20), die seit Sommer 2023 einen Internationalen Jugend Freiwilligendienst (IJFD) bei der Deutschen Seemannsmission in Antwerpen absolvieren, berichten von ihren Erfahrungen.

Wir konnten bisher überwiegend positive Erfahrungen in der Arbeit mit Seefahrern sammeln. Wenn wir Schiffe besuchen, sind Seeleute meist glücklich, uns zu sehen. Obwohl nicht immer klar ist, ob das so ist, weil wir junge Frauen sind oder weil wir ihnen den Bus-Service
anbieten bzw. den Seemannsclub vorstellen. Mehr als einmal haben wir den Kommentar gehört, dass Seeleute nur zum Club kämen, wenn wir auch dort sein würden. Oder wir wurden gefragt, ob wir uns privat treffen könnten. Unsere Erfahrungen als junge Frauen weichen teils sehr deutlich von denen männlicher Kollegen ab.

Als wir zu Beginn unseres IJFD Sicherheitsschuhe kaufen wollten, stellten wir fest, dass es kaum Modelle für Frauen gab, die zudem teurer waren. Uns ist die mangelnde Hygiene der Toiletten im Hafen aufgefallen. Abgesehen von den Toiletten in den Security-Gebäuden, die
nicht für uns bestimmt sind, gibt es nur vereinzelt Toilettenhäuschen. Was kein Problem ist, solange Frauen nicht ihre Tage haben. Seefahrer neigen dazu, uns Frauen Rucksäcke und Kisten abzunehmen, weil sie zuvorkommend sein wollen oder denken, wir seien nicht stark genug. Häufig sind sie überrascht, dass wir so große Autos selbst fahren dürfen.

Bei den Besuchen werden uns oft Touren durchs Schiff ermöglicht. Auch Getränke und Essen werden uns angeboten. Wir wundern uns jedes Mal, wenn Seeleute befürchten, dass wir Europäer kein asiatisches Essen mögen. Teils werden wir zum Essen in die Messe für Offiziere eingeladen. Selbst wenn wir dieses Angebot manchmal ablehnen müssen, wird teils mit sehr viel Nachdruck versucht, uns zu überreden, damit wir etwas länger bleiben. Insgesamt werden wir während der Schiffsbesuche und der Abende im Seemannsclub sehr viel von Seeleuten bemuttert und verwöhnt. Bei männlichen Kollegen ist das nicht immer so.

Bei Besuchen an Bord oder abends im Seemannsclub wollen die Seefahrer öfter mit uns Fotos „als Souvenir“ machen. Durch die Präsenz auf Social Media sind wir auf diese Weise „berühmt“ geworden, so dass uns viele Seeleute erkennen und darauf im Seemannsclub ansprechen. Normalerweise ist es schön, so die Dankbarkeit zu sehen, manchmal geht dies aber auch etwas zu weit, wenn die Seeleute uns beim Posen zu nahe kommen, indem sie uns ungefragt den Arm um die Schulter legen wollen. Auch kommt es vereinzelt zu komischen Situationen, wenn einige Seefahrer nach etwas zu intimen Gesten fragen, wie uns einen Kuss auf die Wange zu geben.

Auf Schiffen wurde uns schon Süßes oder Blumen mitgegeben, oder es wurden Briefe im Seemannsclub für uns hinterlassen. Was auf den ersten Blick sehr nett erscheint, wird manchmal etwas gruselig, wenn man bedenkt, dass wir die Männer nicht kennen und diese meistens auch noch älter sind. Nicht selten wird nach unserem Alter oder privaten Kontaktdaten gefragt, wobei dies meist nur scherzhaft, manchmal aber aufdringlich ist. Das geht bis zu dem Punkt, dass wir Ausreden erfinden und sogar ein (ausgedachter) fester Freund nicht von weiteren Fragen abhält.

Generell kommen von den älteren Seeleuten häufiger Kommentare, dass ihre jungen Kollegen Singles seien. Sie probieren, uns zu verkuppeln, wenn wir nicht vorher sagen, dass wir in einer Beziehung sind. Dies kann spaßig gemeint sein, aber es wird trotzdem schnell unangenehm. Es ist einmal vorgekommen, dass wir einen Verehrer an Bord eines Schiffes getroffen haben. Wir waren etwas eingeschüchtert, als er uns auf seine Briefe ansprach. Das war so aufdringlich, dass wir möglichst schnell das Schiff verlassen haben. Nicht zuletzt deswegen fühlen wir uns gezwungen, selbst im Hochsommer möglichst hochgeschlossene Kleidung zu tragen, um unangebrachten Blicken zu entgehen.

Die Schiffsbesuche weichen deutlich voneinander ab, wenn wir mit einem männlichen Kollegen unterwegs sind, denn dann wandert alle Aufmerksamkeit zu diesem, obwohl wir diejenigen sind, die das Gespräch führen. Besonders beim Rolling Store ist dies auffällig, wenn das Geld nicht an uns – die wir an der Kasse sitzen –, sondern an den Kollegen gegeben wird. Auch wenn wir uns bei den Schiffs- besuchen und in Gesellschaft der Seefahrer noch nie unsicher gefühlt haben, sind wir froh, immer mindestens zu zweit unterwegs zu sein, es macht auch mehr Spaß. Wenn wir anderen Frauen an Bord begegnen, fühlen diese sich in unserer Anwesenheit meistens ebenfalls wohler.

Man merkt im Hafen, dass dieser zwar nicht unbedingt für Frauen ausgelegt ist, uns aber Seefahrer sehr herzlich aufnehmen und ihr Bestes geben, uns einen angenehmen Besuch zu ermöglichen. Auch wenn bei verschiedenen Nationalitäten Sexismus vorhanden ist – sei dies auch nur unterbewusst –, ist dieser nicht immer negativ, sondern für uns auch häufig positiv konnotiert. Dabei ist uns bewusst, dass in fremden Kulturen das Frauenbild anders geprägt ist, weshalb wir die ungleiche Behandlung ein Stück weit nachvollziehen können. Insgesamt bietet so ein internationales Umfeld für uns sehr viele interessante Begegnungen und Erfahrungen.

Diese Texte und Bilder wurden zuerst im „Lassen fallen Anker“ veröffentlicht, dem Magazin der Deutschen Seemannsmission. Mehr unter: https://seemannsmission.org/presse/lass-fallen-anker/