Fatboy, Heritage, Softtail. Außergewöhnliche Namen auf dem Hof des Seemannsheims, wo sonst nur – wie gewohnt – der hauseigene VW Caddy steht. Des Rätsels Lösung: Heute parken hier Motorräder der US-Kultmarke Harley-Davidson. Abgestellt haben sie die Westfalen Joachim, Martin, Franz und Ulrich aus Oelde und Stefan aus Berlin. Das sind fünf „Jungs“, allesamt jenseits der 50 und seit Jahren miteinander befreundet. Aber wer „Mopped“ fährt, bleibt jung, for ever young. Die „Jungs“ einen zwei Dinge. Zum einen die Liebe zum Motorrad mit dem satten Sound und dem Lebensgefühl von Freiheit und Abenteuer. Zum zweiten: Die Begeisterung für das Seemannsheim, das sie seit vielen Jahren als Hotel für die Zeit der Hamburg Harley Days buchen. Sie kommen in den Krayenkamp, um hier – vom Bock – abzusteigen.
Krafträder im Kamp
Stefan, der vor 36 Jahren aus dem westfälischen Warendorf nach Berlin zog, steuert eine Heritage „erst“ seit etwas über zehn Jahren von der Haupt- in die schönste Stadt Deutschlands. Das Herz für´s Heim vis à vis vom Michel hat dagegen sein Bruder Joachim schon früher entdeckt. Joachim kommt schon seit 2006 in den Krayenkamp. Irgendwann hatte er im Fernsehen eine Doku über das Seemannsheim gesehen und auf der Rückfahrt von einer Dänemark Tour in die Reiterstadt Warendorf reifte der Plan: Da muss ich hin. Doch damals gab´s noch kein Navi fürs Motorräder. Aber das Denkmal des Hamburger Originals Zitronenjette zeigte den Weg durch das „Gewusel rund um den Michel“ (Stefan). Auch Easy Rider haben es manchmal nicht leicht.
Westfalen im Hotel
Inzwischen sind es zumeist fünf, mal mehr Harley-Fans, die zum alljährlichen Treffen der Harleys Days im Krayenkamp eintrudeln: „Es gibt zwar immer wenige, die über den Lärm meckern. Aber insgesamt ist es eine tolle Veranstaltung für Hamburg, sehr friedlich“, sagt Stefan. Nie würde er von Lärm reden. Denn Harleys machen keinen Krach nur Sound. Und die Fahrer sind zwar in Leder, aber zahm und zuweilen auch betulich, gesettelt sagt man heute. Es sind Handwerker, Techniker oder Unternehmer, die für Harley (und Heim) schwärmen und dafür von Zuhause ausschwärmen. Das ist Vorsprung durch Kult. Auch die Tochter unseres Freundes Axel (Marie, s. Foto) war schon auf eigener Harley mit auf Tour. Stefan: „In Hamburg fängt für uns die Harley-Saison erst richtig an. Das ist jedes Jahr Ende Juni ein Highlight.“ Dabei pflegt die Herrenrunde jede Menge Rituale.
Rituale auf Tour
Bei der Anfahrt zur „Tour d´ Harley“ cruisen die Westfalen und der Berliner über die Köhlbrandbrücke („Hoffentlich bleibt sie Euch erhalten) zunächst zur Tunnelstraße. Hier treffen sie sich: In der Veddeler Fischgaststätte mit Bratfisch und Astra. „Der Laden passt einfach.“ Dann geht’s von der Veddel in den Krayenkamp. Ist das Zweirad abgestellt, gibt es zuerst ein Bier oder einen Kaffee auf den Stufen vor dem Seemannsheim „Das ist so und wird so bleiben“.
Zu den regelmäßigen Ausfahrten gehört auch ein Ausflug die Elbchaussee herunter mit einer Pause bei Kaffee und Kuchen an der Schiffsbegrüßungsanlage Willkomm-Höft im neuen Schulauer Fährhaus. Selbstredend wird während der Tage in Hamburg gependelt zwischen der Reeperbahn und den Großmarkthallen als Hauptveranstaltungsorte der Hamburger Harley-Days. Und weil sie jedes Jahr so verlässlich eintreffen wie die Schwalben, kennt man sich. Sind die Harley-Days vorbei, reservieren die Jungs schon für das nächste Jahr. Das hat Tradition – aus gutem Grund. Denn:
Als Unternehmensberater für mittelständische Firmen kommt der 60-Jährige Stefan herum – auch ohne Helm und Lederkombi. „Ich kenne viele Hotels. Aber sowas wie das Seemannsheim ist einmalig. Andere Häuser haben Glamour und Chrom. Das Seemannsheim hat Charme und Charakter. Eine Unterkunft mit Herz und Atmosphäre, die es sonst nirgendwo gibt, auch nicht für viel Geld. Und das Frühstück und das Essen sind mega. Auch die Jungs und Mädels am Empfang und in der Küche.“
Landratten in Hamburg
Dabei haben die Westfalen sonst nicht viel mit Seefahrt zu tun. „Wir sind Landratten. In Oelde und Warendorf gibt es Pferde, aber keine Schiffe. Und in Berlin haben wir nur Wannsee, Spree und Krumme Lanke, sagt Stefan geradeheraus. Man merkt, wie er im Kopf die knappe „Seh-Meile“ vom Heim zum Hafen wandert. Doch auch Landratten wie Stefan sind gefeit gegen Klischees vom Seemann mit der tätowierten Braut auf dem spinatdicken Popeye-Arm und anderen Bräuten in jedem Hafen. „Wenn wir im Seemannsheim sind, plaudern wir mit dem einen oder anderen. Man kennt sich. Einer erzählte von Einsamkeit an Bord – und ein anderer, dass er seit Jahren nicht in der Heimat war.“ Und so wissen sie: „Der Job auf dem Schiff ist knochenhart. Das verklärte Bild vom Matrosen, der wehmütig in den Sonnenuntergang schaut, ist eine Erfindung von Medienschaffenden. Mit Easy Sailor Romantik haben Seeleute nichts zu tun.“
Eierköm im Gepäck
So ganz aber können sich auch Westfalen nicht von Legenden und Mythen freimachen. Jedes Jahr – auch das ein guter Brauch – schnappen sie sich eine Flasche Eierlikör, die eine kleine westfälische Bauernhof-Destille herstellt. Mit dem Eierköm machen sie sich dann auf zum Hotel Atlantik an der Alster. Hier im Hotel gibt’s Kaffee und Kuchen, in voller Leder-Montur. Und die Flasche Eierlikör wird hier abgegeben – für Udo Lindenberg, als Mitbringsel auch aus dessen westfälischer Heimat. (hri)
Weitere Information zum Seemannsheim am Krayenkamp finden Sie auf www.seemannsheim.hamburg.