Maritimer Adventskalender 2024

Von Äthiopien ins Seemannsheim

Das Seemannsheim ist multikulti, ein kleiner multinationaler Kosmos. Nicht nur die Seeleute kommen aus vieler Herren Länder. Auch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die Crew im Krayenkamp, sind ein Abbild der großen Welt im Kleinen. Der eine kommt von hier, die andere von dort. So auch Aynalem Bekele, die vor 20 Jahren von Äthiopien aus in den Krayenkamp steuerte – und seither hier für frische Laken und mehr zuständig ist.

„Das Seemannsheim ist mein Haus“, sagt Aynalem Bekele so selbstverständlich wie sich die Erde um die Sonne dreht. Dabei hat die 51-Jährige „nie dran gedacht“, dass ihr das Seemannsheim so schnell zur zweiten Heimat werden würde. Doch vergangenes Jahr feierte sie ein privates Jubiläum: 20 Jahre im Krayenkamp. Zwanzig Jahre zweite Heimat im Seemannsheim.

5.000 von zuhause entfernt

Dabei betont sie „zweite“. Denn im Herzen ist Aynalem auch noch zuhause in Addis Abeba. Ihr Weg von dort war typisch: In Äthiopien lernte sie ihren Mann kennen: „wo sonst“ sagt sie. Hier lebt ihre Mutter, hier steht ihr Elternhaus,  hier machte sie eine Ausbildung zur Sekretärin – und lernte sie in einer Weberei die traditionelle Kunst des Teppichknüpfens. „Alle zwei Jahre muss ich einfach mal zurück nach Hause“, träumt sie sich kurz versonnen über 5.000 Seemeilen zurück an das Horn von Afrika.

Ihr Mann war es dann, der vor über zwanzig Jahren an der Uhr des Schicksals drehte. Er fuhr als Koch auf einem Schiff einer deutschen Reederei und wohnte oft, wenn er in Hamburg war, im Seemannsheim. So lernte auch Aynalem das Haus im Krayenkamp kennen.

20 Jahre

In Deutschland sagt man: Sie kam der Liebe wegen. In Äthiopien rät ein Sprichwort: „Dreh dich zur Sonne und lass den Schatten hinter dir“. Und diese Weisheit hat Aynalem nicht nur aus Addis Abeba mitgebracht. Sie lebt sie auch: „Ich bin jetzt über 20 Jahre im Seemannsheim und wundere mich, wie schnell die Zeit vergangen ist“. Doch das betrübt sie nicht, sondern lässt sie optimistisch strahlen. Am Anfang nannte sie hier jeder Frau Bekele. Doch schon bald hieß es freundschaftlich und kollegial: Aynalem. Das ging zwar zuerst nicht jedem von der Zunge, aber heute kennt sie jeder. Sie weiß warum: „Hier ist der Zusammenhalt ganz besonders. Jeder ist für jeden da. Alle arbeiten zusammen. Wenn ich einmal Hilfe brauche, muss ich nicht lange fragen…“ Das kann einer oder eine aus der Krayenkamper Crew sein. Oder ein Seemann, wie der Schweizer Ex-Kapitän Jürg Niklaus. „Er ist zuweilen wie ein Papa zu mir“, sagt Aynalem und lacht. Man hält eben zusammen.

Drei Chefs und Chefinnen

„Ich habe drei Chefs und Chefinnen erlebt“, schaut sie zurück. „Aber ich habe sie nie als klassische Chefs erlebt“. Doch an einen erinnert sie sich besonders: Pastor Kurt Dropnik. Er folgte auf das Urgestein der Seemannsmission, Jürgen Ruszkowski, und war Vorgänger von Inka Peschke, die 2004 das Ruder übernahm, das sie 2017 an Susanne Hergoss in die Hand weitergab. „Damals gingen wir jeden Dienstag für eine halbe Stunde zum Gebet in die Michel-Kapelle. Der Leiter des Seemannsheim damals war ja Pastor…“

Als sie zum erste Mal an die Elbe kam, arbeite Aynalem nur an Wochenenden im Seemannsheim, „für 600 Mark“, erinnerte sich Aynalem an den Juni 2001. „Damals war noch DM-Zeit – und  die Tochter war klein und brauchte Obhut. Heute ist Tochter Timar 21 Jahre, studiert Soziologie und Politikwissenschaften – und macht die Mutter stolz wie eine Frau aus Äthiopien nur sein kann. „Die Tochter liest ohne Ende“. Und sie ist sich sicher: Sie macht ihren Weg.

Eine Stütze

Inzwischen ist Aynalem eine der Stützen des Seemannsheims – und das ist im engen Sinne des Wortes gemeint. Denn Aynalem wirkt dort, wo andere selten im Haus hinkommen: – in der Wäscherei im Keller. Sie ist diejenige, die dafür sorgt, dass sich Seeleute und Touristen auch nachts im Heim wohl fühlen.“ Motto: „Wie man sich bettet, so liegt man“. Doch Aynalem lässt ihre großen Wachmaschinen oft allein ihre Runden drehen. “Wenn ein Seemann krank ist, besuche ich ihn und wir sprechen“.