Maritimer Adventskalender 2025

Grenzenloses WLAN: Fluch oder Segen?

Internet an Bord ist ein riesen Gewinn für die Crew, finden die einen. Andere sehen den Teamgeist in Gefahr.

Meine Tochter wünscht sich so sehr, einmal in die französische Metropole zu reisen, aber es ist einfach zu teuer“, erzählt mir Victorio, Erster Offizier eines Rohöltankers, bei einem Bordbesuch in Le Havre. „Sie hat ihre Tochter sogar Paris genannt.“ Der Vater von neun Kindern, der seit 37 Jahren zur See fährt, macht einen Videoanruf bei Tochter und Enkelin während einer Kaffeepause. Stolz zeigt er sein Handy, auf dem die einjährige Enkelin zu sehen ist. Ich winke ihr, lächele und rufe ihr „Coucou! Bonjour, Paris“ zu. Wir lachen, und ich spüre, wie wichtig diese kurze Familienauszeit für den erfahrenen Offizier ist. Mehr als Videoanrufe sind monatelang nicht drin. Victorio konnte seine Kinder kaum aufwachsen sehen, fehlte bei Geburtstagen, der Einschulung und meistens auch zu Weihnachten. Familie hat für die meisten Seeleute eine große Bedeutung und nimmt viel Raum in ihrem Arbeitsalltag ein. Das Kontakthalten zur Familie ist in den vergangenen Jahren einfacher, schneller und viel günstiger geworden.

„WLAN hat die Kommunikation stark verbessert – und ein echter Quantensprung hat im letzten Jahr mit Starlink stattgefunden. 1998 war das Sat-Telefon so teuer, um die 20 DM pro Minute, dass man nur selten und in Notfällen zum Telefon griff. Kommunikation per Post war noch alltäglich“, erzählt auch Kapitän Björn (46).

Für und Wider des Internetzugangs an Bord

Zum unbegrenzten WLAN an Bord gibt es jedoch auch andere Meinungen. Skeptiker sagen, Teamaktivitäten hätten im Vergleich zu den frühen 2000er Jahren abgenommen. Und Notebooks hätten schon vor der Einführung des WLAN zur Verringerung gemeinsamer Aktivitäten beigetragen. Kapitän Henri (51) findet: „Die Möglichkeit, sich zu ‚separieren‘, ist einfacher geworden. Aber es sind Erlebnisse, die zusammenschweißen, und abends allein auf seiner Kammer zu sitzen und Youtube oder Tiktok zu schauen, bildet kein Team.“

Die Befürworter des unbegrenzten WLAN sind oft eher jung: „Man hat auf der Überfahrt nach Afrika gemerkt, dass nach einer Woche viele betrübter waren und vor allem die Kollegen von den Philippinen schon fragten, ob wir unsere WLAN-Voucher teilen können.“ Die Gutscheine seien mit Videoanrufen oder Telefonaten schnell aufgebraucht gewesen, erzählt Nautik-Kadettin Laura (25). Sarah, Zweite Offizierin und ein Jahr älter als Laura, findet: „Funktionierende mobile Daten sind ein riesen Gewinn für den Kontakt zur Familie; Onlinebanking ist möglich, in meiner Freizeit kann ich Onlinekurse absolvieren und muss das nicht im Urlaub machen.“ Die Sorge, dass jeder nur auf seiner Kammer sitze, sei unbegründet. Einen Rückgang der Teamaktivitäten sieht sie nicht. Nur seien alle besser drauf, weil sie regelmäßig Kontakt zu ihren Lieben pflegen könnten.

„Mein Gangway-Wachmann darf leise Musik hören. Wenn der Verkehr es zulässt, recherchiere ich auch mal das ein oder andere Fachliche. Letztendlich ist es, als würde ich am Bordcomputer googeln“, sagt Laura. Manchmal sei das Bordinternet langsamer, da gehe es am Handy schneller. Wobei das nicht für Starlink gelte. „Alles, was mich und den Wachmann vom Schifffahren und Ausguckgehen ablenkt, ist verboten“, betont sie. Captain Vedvyas (38) hält fest, dass er dank WLAN auch an Familienfeiern und Versammlungen teilnehmen kann und sich weniger sozial isoliert fühlt.

Längst nicht alle Firmen haben ihre Schiffe mit der neuesten Technologie ausgerüstet. Immer noch besteht Bedarf an SIM-Karten, weil das WLAN an Bord qualitativ unzureichend ist, den Seeleuten überteuert weiterverkauft wird (teils für 100 Dollar pro GB) oder noch nicht für die Crew, sondern nur für die Betriebskommunikation nutzbar ist. Für Kapitän Axel (65) ist klar: „Es liegt immer an der Besatzung selbst, dass Handy-Kommunikation nicht zur Sucht wird. Die gemeinsame Freizeit an Bord will gestaltet werden, von allen Rängen und Positionen, da ist jede und jeder gefragt.“

Von Silvie Boyd

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Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht im „Lass fallen Anker“, dem Magazin der Deutschen Seemannsmission. Die gesamte PDF kann über folgenden Link geöffnet werden: https://seemannsmission.org/wp-content/uploads/2025/05/LFA_2025_web.pdf. Reinschauen lohnt sich!