Maritimer Adventskalender 2025

Doppelte Frauenpower in Hongkongs Hafen

Was anders ist, wenn Frauen an Bord kommen, um mit männlichen Seeleuten über Alltägliches oder über Beziehungsprobleme zu reden.

Von Stefanie Langos

Pastorin Rebecca Holm lebt seit zweieinhalb Jahren in Hongkong. Der Arbeitsplatz der Dänin ist der Hafen. Regelmäßig besucht die 31-Jährige Schiffe aus ihrer Heimat. Holm ist auch Pastorin für die dänische Gemeinde und Gefängnisseelsorgerin für ihre Landsleute. Sie arbeitet in einem ökumenischen Team im Mariners’ Club direkt an der Ausfahrt eines Terminals.

„Ich habe das Gefühl, es macht keinen Unterschied, ob man als Frau oder als Mann Bordbesuche macht. Für die Seeleute sind wir alle Seemannsmission, egal, ob wir von Mission to Seafarers, der Deutschen Seemannsmission, Stella Maris oder der dänischen Kirche kommen. Es ist wunderbar, weil wir die Früchte voneinander ernten können, weil es so eine lange Tradition hat.“ Die Seeleute träfen Holms Kollegen in einem anderen Land, und diese machten offenbar gute Arbeit. „Wenn sie uns treffen, sind sie positiv eingestellt. Ich denke dann: Ich hab’ dich noch nie getroffen, aber es ist gut, in dieser Tradition zu arbeiten“, sagt Holm begeistert. Holms Kollegin Martina Platte leitet seit 29 Jahren die Deutsche Seemannsmission in Hongkong. Jeden Dienstvormittag frühstücken die beiden mit den anderen Kollegen, die im Mariners’ Club arbeiten, der bei den Seeleuten schlicht als Blue House bekannt ist. Dann bringt sich das Team auf den neuesten Stand. Platte und Holm vertreten sich gegenseitig: „Wenn ich beschäftigt bin, aber für Seelsorge auf ein Schiff gerufen werde, kann ich Martina bitten, an Bord zugehen“, sagt Holm.

Rebecca Holm wollte nach ihrem Theologiestudium in die Welt hinaus und entschied sich für ein Assistenzjahr in der dänischen Seemannskirche in Singapur. Zurück in Dänemark sah sie die Stellenausschreibung der dänischen Seemannskirche in Hongkong und bewarb sich kurzerhand. „Ich hab’ gedacht, die nehmen mich ohnehin nicht, aber ich versuch’s, und es hat geklappt.“ Asien habe sie schon immer sehr interessiert. Und da ihr Freund in Singapur lebte, passte es damals einfach.

Martina Platte wiederum leitete vor Hongkong die Deutsche Seemannsmission in Rotterdam. „Als ich dort angefangen habe, waren schon drei bis vier Frauen im Team.“ Frauen, die Seeleute auf Schiffen besuchen? Kein großes Thema im Dienstalltag für Martina Platte. „Das Bild verändert sich. Bei Seeleuten, die mich kennen, gibt es längst keine Anmache mehr.

Es ist okay, es wird nicht mehr groß rumgeguckt.“ Auch ihre dänische Kollegin sieht darin kein Problem. „Ich bin meist auf Maersk-Schiffen, die haben sehr strenge Regeln, was das angeht. Frauen zu respektieren, das ist ein großer Deal, das müssen sie auf den Schiffen. Die Seeleute wissen, wenn sie mich anrühren würden, verlieren sie den Job.“ Diese Politik an Bord führe dazu, dass die Seeleute bei Selfies mit Rebecca Holm lieber ein bisschen mehr zur Seite rückten. „Damit es nicht so aussieht, als ob sie mir zu nahe kommen. Ich habe nie etwas Negatives erlebt.“ Wenn sie als Frau Schiffsbesuche mache, empfinde Holm das auch als einen Vorteil. Sie spüre großes Interesse der Besatzungen. „Ich bin eine blonde Europäerin, das interessiert besonders die Seefahrer, die nicht so häufig blonde Frauen sehen. Sie wollen gern mit mir reden. Wenn ich gefragt werde: ‚Hast du einen Freund?‘, antworte ich: ‚Ja, ich bin verheiratet.‘

Vor Antritt ihres Assistenzjahres in Singapur habe sie ihren Arbeitgeber gefragt, wo sie bei ihrer Arbeit mit den Seeleuten aufpassen müsse. „Das war nie ein Problem“, bekam Holm als Antwort. „Zur Sicherheit habe ich immer lange Hosen an. Ich würde kein Top tragen. Ich kleide mich immer dementsprechend, damit sich niemand unnötig aufregt.“

Pastorin Holm wurde einmal abends von einem Seemann angeschrieben, dem sie ihre Whatsapp-Nummer gegeben hatte, falls er Gesprächsbedarf haben sollte. Da der Seemann aber nur gelangweilt und mehr daran interessiert war, was sie machte, beendete sie den Chat schnell: „Ich hab’ gesagt: ‚Entschuldigung, es ist Feierabend. Du kannst dich melden, wenn wirklich etwas ist.‘“ Auch Martina Platte hat im anonymen Chat der Deutschen Seemannsmission für Seeleute, DSM Care, schon eine unangenehme Erfahrung mit anzüglichen Bemerkungen eines Seemanns gemacht. „Da hab’ ich mich ganz schnell aus dem Chat verabschiedet.“

Beide erleben Begegnungen mit Seeleuten insgesamt als angenehm. Holm: „Wenn ich zum Abendessen eingeladen werde, sagen sie mir: ‚Weil du gekommen bist, habe ich ein Bad genommen.‘ Ihre deutsche Kollegin ergänzt: „Oder sie sagen: ‚Ich hab’ mich extra rasiert.‘“ „Sie sagen das scherzhaft, aber da ist schon etwas Wahres dran“, sagt Holm. Manchmal wird es Martina Platte aber auch zu viel: „Wenn sie zu viel Rasierwasser aufgetragen haben und mich umarmen, dann riecht das ganze Auto mindestens für einen Tag nach Rasierwasser.“

Ende April hat Martina Platte ihre Kollegin Rebecca das erste Mal zum Bordbesuch mit auf ein Kreuzfahrtschiff genommen. Holm hatte zuvor schon ein paar Mal bei Martina Platte angefragt. „Erst war keine Saison, dann war eine kleine Saison nach Corona, jetzt ist die zweite Saison, und die ist nicht in voller Fahrt“, sagt Platte. „Für mich war das ein neues, interessantes Erlebnis, vor allem mit so vielen Crewmitgliedern sprechen zu können. Abends war ich dann doch ziemlich müde“, fügt Holm hinzu. „Im Hotelbereich müssen die Leute immer zuerst für Passagiere da sein. Das ist an Deck anders. Und auf Containerschiffen kommen die Arbeit und das Schiff immer zuerst.“

„Ich habe den Eindruck, dass Frauen und Männer an Bord mit uns über andere Dinge reden, als wenn ein männlicher Kollege an Bord ist. Die Frauen fragen, ob wir ihnen Menstruationspads verkaufen können. Oder ein Seemann fragte mich, wie er seiner Freundin einen Antrag machen soll, ob er auf die Knie gehen soll. Es ist vielleicht einfacher, mit mir zu reden. Wie denken Frauen in solchen Situationen?“, sagt Holm. Die Seemänner erlebten häufig, dass ihre Freundinnen oder Frauen in der Heimat sie betrügen, und hätten Angst davor. „Weil ich eine Frau bin, können sie mit mir einfacher über diese Themen reden“, vermutet die Seemannspastorin.

„Die Jungs gehen auch mal fremd, wenn sie unterwegs sind. Es ist kein Wunder, dass so viele Ehen getrennt werden. Aber es ist längst nicht mehr wie früher, dass in jedem Hafen eine andere Frau wartet.“ Sie bemerke insgesamt eine andere Atmosphäre bei der Crew, wenn eine Frau mit in der Messe sitze. „Die Männer fläzen oder rekeln sich nicht.“ – „Wenn eine Frau auf dem Schiff ist, dann ist eine andere, gute Stimmung“, ergänzt Rebecca Holm. „Die Seeleute benutzen dann bei Tisch auch eine andere Umgangssprache. Die Anwesenheit einer Frau hat definitiv einen guten Einfluss auf sie“, sagt Platte.

Diese Texte und Bilder wurden zuerst im „Lassen fallen Anker“ veröffentlicht, dem Magazin der Deutschen Seemannsmission. Mehr unter: https://seemannsmission.org/presse/lass-fallen-anker/